Antisemitismus ist ein Angriff auf die Menschenwürde

Die Relevanz des Antisemitismus für den Verfassungsschutz ergibt sich aus dessen Auftrag und seinen Aufgaben. So dient der Verfassungsschutz gemäß § 1 des rheinland-pfälzischen Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG) unter anderem dem „Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ (FDGO). Diese umfasst laut Bundesverfassungsgericht „die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich sind“: die Garantie der Menschenwürde, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip (§ 4 Abs. 3 LVerfSchG).

Die Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, Bestrebungen zu beobachten, die gegen die FDGO gerichtet sind, „soweit tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten vorliegen“ (§ 5 LVerfSchG). Antisemitismus widerspricht der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Laut der Definition der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) ist Antisemitismus „eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann“. Dieser richte sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Der 2009 vom Deutschen Bundestag eingesetzte „Unabhängige Expertenkreis Antisemitismus“ (UEA) wiederum definierte Judenfeindlichkeit als „Sammelbezeichnung für alle Einstellungen und Verhaltensweisen, die den als Juden wahrgenommenen Einzelpersonen, Gruppen oder Institutionen aufgrund dieser Zugehörigkeit negative Eigenschaften unterstellen“.

Antisemitismus ist eine Ideologie der Ungleichheit

Beim Antisemitismus handelt es sich also um eine feindselige Positionierung gegenüber Jüdinnen und Juden, die als homogene Gruppe betrachtet werden: Der einzelne Jude wird nicht als Individuum, sondern als Angehöriger eines konstruierten Kollektivs mit verbindender Agenda wahrgenommen. Antisemiten hängen einer Ideologie der Ungleichheit an, die von einer Ungleichwertigkeit verschiedener kultureller, sozialer oder ethnischer Gruppen ausgeht. Menschen jüdischen Glaubens sind nach dieser Sichtweise weniger wert als Angehörige der eigenen Gruppe. Mit der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde ist eine solche Position unvereinbar.

Zumindest zwei Erscheinungsformen, der rassistische und der politische Antisemitismus, verstoßen auch gegen das Demokratieprinzip beziehungsweise die Volkssouveränität als dessen Kernelement, indem Juden abgesprochen wird, Teil des Volkes zu sein, und sie für unfähig gehalten werden, dem „wahren Volkswillen“ entsprechend zu handeln. Der Volksbegriff des Grundgesetzes ist jedoch an keine Konfession und an kein sonstiges religiöses Bekenntnis geknüpft. Das Volk, von dem nach Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG alle Staatsgewalt ausgeht, ist die Gesamtheit der deutschen Staatsangehörigen sowie der ihnen nach Art. 116 Abs. 1 GG gleichgestellten Personen. Juden können ihm genauso angehören wie Katholiken, Protestanten, Muslime, Konfessionslose und viele andere mehr.

Für Rechtsextremisten gehören Juden nicht zur „Volksgemeinschaft“

Die Vorstellung einer homogenen völkischen Gemeinschaft ist der Kern des Gesellschafts- und Staatskonzepts rechtsextremistischer Gruppierungen und Organisationen. Mit einer solchen Deutung ist der Versuch verbunden, die parlamentarische Demokratie von der am Gebot der universellen Gleichheit ausgerichteten Willensbildung zu lösen. Staatsbürgerrechte wie das Wahlrecht sollen nach den Vorstellungen der Rechtsextremisten den Angehörigen der „Volksgemeinschaft“ vorbehalten bleiben. Für Rechtsextremisten und Antisemiten gehören Juden nicht zu dieser Gemeinschaft.